Erfahrungen eines ehem. Studierenden mit Sehbehinderung

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Ich bin zwar kein Student mehr, kann mich aber noch lebhaft an diese Zeit erinnern. Da ich eine angeborene schwere Sehbehinderung habe (Sehrest 5%), möchte ich nun ein bisschen von meinen Erfahrungen erzählen, die leider nicht in NRW stattgefunden haben, die aber ein ungefähres Bild geben können, was man zu erwarten hat, denke ich zumindest.

 

Ich habe in einer mittel großen Stadt in Süddeutschland an einer recht großen Universität angefangen. Zunächst ein Semester auf Probe, dann richtig Psychologie, damals noch als letzter Diplomjahrgang und mit Härtefallantrag. Allerdings habe ich mir nicht allzu viel Gedanken vorher gemacht, wie ich das schaffen will. Ich habe einfach drauflos studiert, ohne mich beraten zu lassen, was im Nachhinein vielleicht die falsche Wahl war. Ich brauchte ca. ein Jahr bis ich ungefähr wusste wie das mit dem studieren so funktioniert und ich mich sicher durch die Uni bewegen konnte.
Ich bin ständig auf Ferngläser und Lupen angewiesen, um Tafeln oder Unterlagen lesen zu können. Da der Studiengang Psychologie sehr beliebt ist, waren wir knapp 500 Leute im Studiengang und in manchen Vorlesungen sogar noch mehr, wenn andere Studiengänge dazu kamen, wie beispielsweise in Statistik. So bin ich ziemlich schnell untergegangen und hatte kaum Möglichkeiten Nachteilsausgleiche zu bekommen, weil die Profs einfach keine Zeit für mich hatten. Selbst als ich dann Zeitverlängerung hatte, hat das nicht ausgereicht, weil das Tempo des Studiums einfach zu hoch war. Nach vier Semester war ich ca. fünf Bücher und entsprechend auch Klausuren im Rückstand. Da ich auch noch ein persönliches Tief hatte, habe ich beschlossen zu wechseln.


Nun habe ich mich intensiv nach einer kleinen Campus (Fach-)Hochschule umgeschaut und auch eine gefunden, wo ich Soziale Arbeit studieren konnte. Diese Entscheidung habe ich nicht bereut, denn an dieser Hochschule waren wir gerade einmal 100 Leute im Studiengang und gegen Ende sogar nur noch halb so viel, so dass ich einen recht engen Kontakt zu meinen Profs aufbauen konnte. Das hat mir sehr geholfen. Außerdem war es hilfreich auf dem Campus zu wohnen, weil dadurch der ganze Anreisestress wegfiel. Ich kann Leuten mit Mobilitätsproblemen nur empfehlen sich einen Wohnheimplatz möglichst nah am Campus zu sichern. Außerdem lernt man so schnell hilfsbereite Leute kennen.


Ich habe mich sehr auf meine Kommilitonen verlassen. Diese haben für mich mitgeschrieben oder mich bei Exkursionen mitgenommen etc.. Ebenfalls hilfreich war in meinem Fall der Umstieg auf ein Bachelor Studium. Es war zwar sehr verschult mit Anwesenheitspflicht usw., dafür wusste ich aber auch immer, wo ich meine Prioritäten setzen musste, während ich bei der Psychologie oft nicht wusste, welche Lektüre oder Fach jetzt das wichtigere ist.


FAZIT: Alles in allem habe ich das Bachelor Studium in der Regelstudienzeit durchziehen können, also 6 Semester. Das Psychologiestudium hätte ich, wahrscheinlich mit einigen Zusatzsemestern, auch geschafft. Das ganze Campusleben und die Art zu studieren waren jedoch sehr unterschiedlich, und wie gesagt habe ich den Wechsel nicht bereut.

 

(Veröffentlicht von Lapidoo, 2014)